Das zeitlose Leben im Südpazifik
Viel zu spät oder gerade rechtzeitig? Ganz egal, Alles ist Bula! Warum am anderen Ende der Welt das Leben auch ohne Uhr funktioniert und wo man die schönsten Strände unseres Planeten findet? Find out here
Pallo XOXO
11/14/202418 min read
Ja ich weiß… Ich hab mir Zeit gelassen. Sehr viel Zeit sogar. Aber keine Sorge. Das war mit Absicht! Natürlich kann man hier jetzt (vielleicht nicht ganz zu Unrecht) eine schlechte Ausrede für noch schlechteres Zeitmanagement oder gar eine schöpferische Krise meinerseits vermuten. Bevor es allerdings so weit kommt, lasst mich wenigstens versuchen, alles zu erklären!
In diesem Blogupdate geht es nämlich, um das Leben auf der (wortwörtlich) anderen Seite der Welt. Länder, die so weit entfernt von Deutschland sind, dass man unmöglich innerhalb von 24 Stunden dorthin kommt. Länder, deren Namen die meisten Deutschen entweder noch nie gehört haben oder mit überteuertem Wasser aus Plastikfalschen verbinden. Länder, die zwar bis zu 11 Stunden vor unserer Zeit leben, den Begriff Zeitmanagement aber noch nicht erfunden haben. Verspätet ist im Südpazifik daher gerade rechtzeitig und ohne Vorgabe läuft in diesem Teil der Erde doch irgendwie alles nach Plan. Viel passender als mit einer maßlos verspäteten Veröffentlichung hätte ich diesen Blogpost also nicht einleiten können; Island-Time eben. Und nicht nur das: Der Südpazifik ist ein einziger Island-Vibe – fehlendes Zeitgefühl, die schönsten Strände der Welt, endlos viele Kokospalmen, Kava, Bula und ganz viel Chaos. Ein Monat zwischen Fiji und Vanuatu – Here we go!
Bula Fiji
Aber immer der Reihe nach. Die Südsee fing für mich nämlich schon fast 8 Monate vor dem eigentlichen Flug mit einem Buch, das mir meine Schwester zum letzten Weihnachten vor Reisebeginn geschenkt hatte, an. Nick Martins‘ „Die geilste Lücke im Lebenslauf“ war nicht nur erstes, aufgrund von Platzproblemen im Backpack gleichzeitig letztes und damit auch bestes Buch, das ich auf meinem Trip lesen konnte, sondern auch eine riesige Inspirationsquelle für Ecken und Orte, die ich irgendwann besuchen möchte. Schließlich schreibt Nick auf über 300 Seiten nahezu ausschließlich über Erlebnisse und Erfahrungen einer fast sechsjährigen Weltreise. Besonders in Erinnerung blieb mir dabei eine Story, die sich auf einer kleinen Insel im endlosen Pazifik abspielte und damit endete, dass in Nicks Brust der Pfeil einer Harpune steckte. Ohne hier weitere Details zu nennen im ersten Moment natürlich keine Story, die klassischerweise Sehnsucht auslösen dürfte. Wie bei vielen Geschichten waren es aber die wunderschönen Details links und rechts von der Verletzung durch die Harpune, die mir zeigen, dass das Land dieser Story -Fiji- mehr ist, als ein bloßer Spot für überteuerte Flitterwochen und weit oben auf meine Liste der Go-To-Weltreise-Ziele gehört.
Nachdem ich also schon mehr als zwei Monate in Down Under unterwegs war und so langsam das Bedürfnis wuchs, wieder einmal einen Tapetenwechsel zu vollziehen, beschloss ich kurzerhand den Flieger von Melbourne nach Nadi auf Fijis-Hauptinsel Viti-Levu zu buchen und endlich das andere Ende der Welt mit eigenen Augen zu sehen. Großartige Vorbereitung gab es abseits der Buchung eines Hostels in der Nähe von Nadi wie gewohnt nicht. Dafür jede Menge Vorfreude auf das Ungewisse und bereits im Flieger unlimited gratis Fiji-Wasser, das mit ca. 20% tatsächlich der Exportschlager Nr.1 des Südseestaats ist.




4 Stunden später stand ich am Airport von Nadi und durfte dank des super sympathischen Taxifahrers direkt einige Learnings über Sprache und Land verbuchen. Erstens: Nadi wird zwar Nadi geschrieben, heißt aber gar nicht Nadi, sondern Na(n)di?! Zweitens: In Fiji wird Fiji gesprochen und in Fiji spricht man anscheinend mehr als man schreibt. Drittens: Bula heißt Hallo. Viertens: Bula heißt Auf Wiedersehen. Fünftes: Alles ist immer Bula. Und sechstens: Nadi ist zwar nicht schön und die Straßen sind eine Katastrophe. Trotzdem ist alles und immer Bula!
Bula beim Check-In, Bula beim Abschied, Bula auf der Straße, Bula am Strand. Wahrscheinlich untertreibe ich sogar noch, wenn ich sage, dass ich Bula in meinen ersten Stunden auf Fiji mehr als 100mal hören bzw. sagen durfte. Bula ist in Fiji einfach alles, immer und überall. Und auf eine gewisse Art ist Bula auch ein perfektes Abbild für die völlig neue Kultur, in die direkt eintauchen durfte. Positivität, Gastfreundschaft, Offenheit und Stressfreiheit; alles auf einem ganz neuen Level. Schon am Flughafen hatte jeder Fijianer ein breites Lächeln auf den Lippen und schon am Flughafen war ich von der Menge an (authentischen) Hilfsangeboten ziemlich überwältigt.
Bei der Ankunft im Hostel gab es entsprechend nicht nur ein einfaches Check-In, sondern direkt eine Live-Gitarren-Performance des GoodVibes-Klassikers I’m Yours (Jason Mraz) sowie eine Einladung für eine gemeinsame Kava-Zeremonie. Statt Schlafplatz beziehen, ging es direkt in den Garten des Hostels, um mit der gesamten Familie der Inhaberin und den anderen Gästen Uno und Gitarre zu spielen. Learnings diesmal: In Fiji kennt jeder anscheinend jeden. In Fiji chillt jeder anscheinend mit jedem und in Fiji spielt jeder anscheinend Gitarre. Irgendwie auch nachvollziehbar, wenn man in einem Inselstaat aufwächst, der über 3.000km von Australien mitten im Pazifik gelegen ist und dessen Traditionen von Jahrhunderten ohne jeglichen Kontakt zum Rest der Welt geprägt sind.
Weil Nadi wirklich keine schöne Stadt ist, wurden so auch die folgenden Tage für meinen Fiji-Culture-Crash-Kurs in mehr oder weniger intensivem Nichts-Tun im Garten des Hostels genutzt. Nichts-Tun, das dank der Locals und ihres Gemeinschaftsgefühls irgendwie immer ein Erlebnis war. In Fiji gehörten wir alle direkt zur Familie und kannten schon am zweiten Tag den halben Ort. Ständig kam irgendjemand mit Snacks, Drinks und Storys zu Besuch, spontane Jam-Sessions mit Gitarre und Trommeln gehören zu jeder Tageszeit zur Tagesordnung und wenn gerade mal außer der obligatorischen Runde Uno wirklich nichts abging, erklärte uns die Besitzerin halt, wie man einen Kokosnuss-Ring schnitzt.
Von Kava bis Fiji-Time
Ganz planlos wollte ich meine erste Woche im Südpazifik aber auch nicht verbringen. Von Travelbuddy Teja hatte ich bereits einige Monate zuvor gehört, dass es in Fiji die Möglichkeit gibt, ohne Käfig mit Bull-Sharks 🦈zu tauchen und entsprechend bei einer Tauchschule angefragt. Eigentlich als Tagestrip geplant, wurde mir bei der Suche nach einem passenden Bus im Hostel dann aber erklärt, dass ich sicherheitshalbe eine Übernachtung einplanen sollte. Die Abfahrtszeiten und Ankunftszeiten seien „etwas ungenau“ und nicht wirklich verlässlich. Fiji-Time eben.
Ja Fiji-Time… Das Gegenteil der deutschen Pünktlichkeit. Es passiert halt irgendwann. In zehn Minuten, in einer Stunde oder heute Abend. Niemand weiß es, niemand beschwert sich, alle warten, alles ist Bula. Zumindest wenn man Fijianer ist. Ich hatte nämlich meine Schwierigkeiten damit, morgens zum Bus-Terminal zu fahren, ohne zu wissen, wann der Bus abfährt. Um den Special-Tauchgang also nicht zu Fiji-Vertimen ging es sicherheitshalber einen Tag früher nach Pacific Harbour. Zur kollektiven Überraschung vom Fahrer und mir sogar ohne jegliche Wartezeit direkt vom Taxi in den Bus. Fiji-on-Time sozusagen.
Ganz pünktlich und problemfrei verlief die Fahrt natürlich trotzdem nicht. Weil der Busfahrer weder Google-Maps noch Englisch verstand, ließ er mich einfach am Straßenrand im Nirgendwo um Pacific Harbour, zwei Kilometer vor dem eigentlichen Ziel, raus. Da es zur Feier des Tages zusätzlich in Strömen regnete und die Autos wenig Interesse daran zeigten, mich mitzunehmen, ging es so gezwungenermaßen in Schlappen durch die verregnete Nacht entlang der Main-Road.
Völlig durchnässt angekommen in der neuen Unterkunft gab’s neben dem üblichen Bula wenigstens die frohe Botschaft, statt eines Dorms das Upgrade auf ein Einzelzimmer bekommen zu haben. Ein Einzelzimmer, in dem ich wenige Minuten später doch etwas verwundert stand, weil plötzlich eine Britin den Raum betrat und ebenfalls davon sprach, ein Upgrade in mein/ihr/unser Zimmer erhalten zu haben. Naja, der Wille war da und ein zweites Bett ließ sich auch schnell organisieren. Alles Bula!
Der Tauchgang am nächsten Tag war dann erwartungsgemäß ein absolutes Highlight. Ohne Käfig fast dreißig Haie mit teils wenigen Zentimetern Abstand bei der Fütterung zu erleben kann man kaum in Worte fassen und gehört sicherlich weit oben auf die Bucket-List eines jeden Tauch-Enthusiast. Wie ich es dabei geschafft habe, gleich beide Badehosen in der Tauchschule zu vergessen und wie es sich anfühlt, wenn der Bus für den Rückweg nach Nadi über zwei Stunden Fiji-Time hat, lässt sich zwar auch schwer in Worte fassen; aber whatever, alles Bula!


Vor allem, weil zurück in Nadi endlich wieder eine Kava-Zeremonie auf dem Programm stand – der absolute Klassiker und das Wichtigste aller Learnings in der Fiji-Bula-stressfrei-Kultur. Der Ablauf lässt sich im Prinzip recht einfach beschreiben. Die Locals pressen die Wurzel der Kava-Pflanze in einer Schüssel mit Wasser aus und verteilen den dabei entstehenden (nicht gerade lecker aussehenden) Drink in einer Kokosnussschale der Reihe nach an die Teilnehmer der Zeremonie. Bevor man ansetzt, einmal klatschen und das obligatorische Bula aufsagen, dann die Schale exen und im Anschluss weitere dreimal Klatschen. Geschmacklich irgendwo zwischen Erdboden, Pfeffer und Wurzel hat Kava dabei einen leicht betäubenden Effekt, sodass sich die Lippen nach dem Konsum für einen kurzen Zeitraum etwas taub anfühlen. Dazu gibt es dann meistens Live-Gitarren-Musik, Snacks und Zeit für Gespräche. Ende ist, wenn man einschläft oder der Gastgeber die Zeremonie beendet. Und Einladungen zu einer Zeremonie lehnt man nicht ab.
Wie ernst die Fijianer diese Regeln nehmen, durfte ich zufälligerweise durch einen Chinesen, der für sein freies Wochenende ebenfalls im Hostel in Nadi war, erfahren. Als Englisch-Mandarin-Übersetzer für eine Mine einer chinesischen Firma auf Viti Levu, erzählte er, dass die fijianischen Mitarbeiter der Mine gelegentlich einfach nicht zur Arbeit erschienen wären oder diese während der Arbeitszeit plötzlich verlassen hätten. Hintergrund jeweils eine Einladung zu einer Kava-Zeremonie (die man ja bekanntlich nicht ablehnt). Seitens des chinesischen Mineneigentümers hatte es hierfür anfangs logischerweise wenig Verständnis und entsprechend diverse Kündigungen gegeben. Weil unter der Prämisse, dass Kava-Abwesenheiten nicht akzeptiert werden, in der Folgezeit allerdings kaum Mitarbeiter zu finden gewesen wären, sei der Minenkonzern nach einigen Monaten dann aber tatsächlich zurückgerudert und dulde die Kava-Time nunmehr. Wieder alles Bula in der Mine - sozusagen.
Die schönsten Stränder der Welt
So richtig Bula sollte dann auch meine zweite Woche auf den Fijis werden. Nach Kultur und Kava stand nämlich endlich das an, was so ziemlich jeder zuerst mit Fiji verbindet: Endlose Traumstrände auf einsamen Inseln, Hängematten und Traumresorts. Mit dem Bula-Pass im Gepäck (ja, der heißt selbstverständlich wirklich so) ging es für eine Woche mit der Fähre in Richtung Yasawa-Islands - für eine Woche ins südpazifische Paradies. Unzählige winzige Inseln mit meistens bloß einem einzigen Hotel, geführt durch eine einzige Family und umgeben von kristallblauem Wasser sowie weißen Sandstränden. Abends unglaubliche Sonnenuntergänge und nachts die klarsten Sternenhimmel, die ich jemals sehen durfte. Mehr Bilderbuch geht nicht.












Natürlich alles zu seinem Preis. Primär für Honeymoon-Vacations gedacht und teils mit ultra-luxuriösen Private-Resorts bebaut, waren die Yasawas definitiv kein Schnäppchen. Dass sich überhaupt mancher Backpacker hierhin verirrt, lag vermutlich an den vereinzelten Resorts, die vergünstigte Dorms anboten oder den etwas einfacher gehaltenen Local-Homestays. Um das schönste Bett ging es an diesem Ort der Welt aber ohnehin nicht. Viel entscheidender war all das, was auf den Yasawas außerhalb der Zimmer nur wenige Meter entfernt wartete. Perfekter Strand, perfekte Palmen, jede Menge Bula und ganz viel Meer!
Gerade mein letztes (und günstigstes) Homestay auf Wayasewa war es schließlich auch, dass mir am meisten in Erinnerung blieb. Nicht so fancy wie die vorigen Hotelresorts, dafür wieder unglaublich familiär und Fiji-Time auf einem ganz neuen Level. Im Waya Lailai Eco Heaven gab es schlicht kein Zeitgefühl. Statt einer Uhr, wurde einfach alles durch eine handgesteuerte Glocke angekündigt. „Die läutet schon irgendwann. Dann gibt’s Essen,“ war insoweit die Kurzeinführung von meinem Room-Mate Max. Frühstück mal um 8 Uhr, mal um 10 Uhr, mal irgendwann anders. Den Rest des Tages Beachvolleyball, Kicken, Uno oder Hängematte. Dazwischen spontaner Ausflug zum nahgelegenen Dorf, zum Angeln oder zum Kava-Abend mit der Host-Family. Im Eco Heaven wurde das Fiji-Nichts-Tun absolut perfektioniert und selbst mir, der ansonsten für zu viel Ausruhen wenig übrig hat, gefielen die Tage ohne Uhrzeit und jegliche Sorgen jeden Morgen mehr.














Entsprechend fiel mir die Entscheidung für die letzten Destination auf Fiji ausnahmsweise auch super einfach. Noch mehr Hängematte, noch mehr Laid-Back-Leben am Strand, noch mehr Do-Nothing. Aus Kostengründen zwar nicht mehr auf den Yasawas, dafür aber im kaum weniger malerischen und mit Surf Spot ausgestattetem Beachhouse an Viti Levus Südküste. Fünf Tage zwischen Strand, Bar, Beachvolleyballfeld und sehr coolen Peoples wieder gleichzeitig nichts und viel tun. Fünf Tage Fiji-Time zum Abschluss und fünf Tage für eine neue Idee.
















Irgendwo in Vanuatus Nirgendwo
Eine Idee mit dem Namen Vanuatu. Fast drei Wochen Südsee-Island-Good-Life waren nämlich irgendwie noch nicht genug und hatten eine Flamme in mir entfacht, vor der Rückkehr nach Südostasien nochmal das wirklich echte Island-Life zu entdecken. Das Island-Life abseits der von Hotels und Tourismus geprägten Trauminseln, das ich bisher nur aus den Storys der Locals kannte. Ein Verlangen nach einem richtigen Off-the-beaten-Track-Abenteuer, dass mich nach kurzer Recherche auf Vanuatu brachte. Ein weiterer Zwergstaat im Südpazifik mit nur ca. 120.000 Besuchern pro Jahr und einer Vielzahl kleiner abgelegener Inseln. Ein Land, dessen Ureinwohner angeblich noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts Kannibalismus praktizierten.
Mit Tanna war auch direkt die passende Insel für mein Vanuatu-Adventure gefunden. Einen der wenigen Plätze unserer Erde, wo es die Möglichkeit gibt, unmittelbar am Rande des Kraters eines aktiven Vulkans zu stehen und die Eruption mit eigenen Augen zu beobachten, musste ich einfach sehen. Außerdem war Tanna remote genug, um das besagte authentische Island-Life zu bieten. So remote, dass bereits die Anreise eine ziemliche Odyssee werden sollte. Mit einem einfachen Direktflug von Fiji nach Vanuatu kam ich nämlich nur auf Vanuatus Hauptinsel Efate. Um nach Tanna zu gelangen, war im Anschluss noch ein knapp einstündiger Inlandsflug mit AirVanuatu nötig; einer Airline, die notorisch dafür bekannt ist, Flüge kurzfristig zu streichen oder mitunter für mehrere Tage zu verschieben. „Theorie und Praxis. Das wird schon“. Immer noch voll im sorgenfreien Fiji-Bula-Lifestyle war mir das negative Feedback zur Airline ziemlich egal. Bisher hatte schließlich auch immer alles funktioniert. Bisher…
Nach Port Vila (Vanuatus Hauptstadt) ging es nämlich direkt mit über drei Stunden Verspätung und ohne jegliche Informationen, ob wir in der Nacht überhaupt noch abheben. Weil ich so meinen AirBnB-Host vorher auch nicht großartig über die potenzielle Verspätung informieren konnte, kam ich also gegen 1:00 Uhr ohne jegliche Gewissheit über meinen Schlafplatz und die Route zur Unterkunft am Flughafen in Port Vila an. Da der einzige SIM-Karten-Shop dort natürlich auch schon geschlossen hatte und kein einziges Taxi vor Ort wartete, gab es nicht Mal die Möglichkeit meinen Host auf seiner hinterlegten Nummer anzurufen und nachzufragen. Schon halb mit dem Gedanken abgefunden, wieder einmal eine Nacht am Airport verbringen zu dürfen, kam schließlich doch noch ein Taxi um die Ecke, dem ich sofort versuchte, mein Problem zu schildern und von seinem Handy anrufen zu dürfen. Das wollte der Taxifahrer allerdings partout nicht rausrücken und mich stattdessen für völlig überzogene 20$ zu meiner nur wenige hundert Meter entfernten Unterkunft fahren. Mitten in der lauterwerdenden Diskussion sah ich dabei plötzlich zwei Personen aus der Dunkelheit schnell auf mich zukommen. „Das war’s…“, dachte ich sofort, „hier komme ich nicht mehr weg.“
„He‘s with me, leave him alone!“, waren die ersten Worte, die mich aus diesen Gedanken rissen. Keine Kriminellen, sondern meine Gastgeberin hatte mir Ihrem Sohn tatsächlich drei Stunden auf dem Parkplatz am Flughafen auf mich gewartet und in der Dunkelheit schlicht übersehen. Der Diskussion sei Dank, hatte sie mich letztlich doch wahrgenommen und meinen Versuch einer Entschuldigung für die Verspätung im Anschluss auch direkt mit der familiären Fiji-Entspanntheit egalisiert „No worries Pascal. There is no being Late. It’s just Island-Time.“ Same, same but different gibt’s also auch im Südpazifik.
Was es im Unterschied zu Fiji auf Vanuatu aber kaum gab, war Booking.com und Hostelworld. Mit meinen sonst üblichen Go-To-Hotel-Seiten konnte ich hier kaum etwas anfangen. Nur durch ungewohnt umfangreiche Recherche konnte ich im Vorhinein die AirBnB-Unterkunft für meine erste Nach in Port Vila finden. Für die drei Tage auf Tanna, gab es im Internet dann fast gar nichts mehr. Erst in einem Travelforum entdeckte ich die Telefonnummer von einem Local-Gastgeber auf der Insel, dessen Baumhäuser direkt neben dem Vulkan liegen sollten. Nach vier vergeblichen Anrufen, ging dort tatsächlich eine Männerstimme ran und stellte sich kurz als Thomas vor: „You can come. Call me when you are here.“ Aufgelegt! Keine Uhrzeit, keine Aufenthaltsdauer, kein Preis und erst recht keine Buchungsbestätigung. Whatever, rein ins Ungewisse… Mein Flug nach Tanna war schließlich bereits gebucht.
Leicht übermüdet und ohne Gewissheit, wo ich am Ende des Tages landen würden, ging es am nächsten Morgen also zeitig wieder zurück zum Airport. Diesmal in Richtung Domestic-Terminal, wobei der Begriff Lagehalle vermutlich treffender gewesen wäre. Keine digitalen Anzeigetafeln, keine Taschenkontrolle, keine Informationen und als Check-In-Schalter gestapelte Kartons auf denen die PCs umherwackelten. Remote heißt wohl wirklich remote. Immerhin das Flugzeug machte einen relativ modernen Eindruck und sollte zur kollektiven Überraschung pünktlich abheben. 40 Minuten später hatte ich es dann tatsächlich geschafft. Ich stand im Nirgendwo einer Südpazifikinsel auf einem einsamen Rollfeld. Ich war in Tanna




Leben mit dem Vulkan
Aber wo war mein Gastgeber Thomas? Außer ein paar wenigen Allrad-Pick-Up-Trucks, die Familienangehörige einsammelten, war am Flughafen bzw. Flugplatz fast nichts los. Bei der Telefonnummer, die ich am Vortag angerufen hatte, ging plötzlich niemand mehr ran und auf den Namen Thomas reagierten die Locals bloß mit irritierten Blicken. Shit…! Zunehmend wurde ich nervöser und musste unweigerlich daran denken, auf einer einsamen Pazifikinsel ohne Hotel und stabile Internetverbindung gestrandet zu sein. Der nächste Flug zurück nach Port Vila ging nämlich erst drei Tage später…
Weil mittlerweile fast alle Locals den Parkplatz verlassen hatten, wollte ich immerhin die noch verbleibenden Fahrer direkt in ihren Autos ansprechen, um zumindest ein Taxi für die 10km bis zum nächsten Dorf zu ergattern. Versuch 1: Absoluter Fail. Kein Englisch, kein Platz und anscheinend auch andere Richtung. Versuch 2: Auto ohne Fahrer… Dafür zwei Touristen auf der Ladefläche des Pick-Up-Trucks, denen ich sofort mein Problem zu schildern begann. Bereits nach wenigen Sätzen wandelte sich dabei der aufmerksame Blick der Beiden in ein breites Grinsen um. Ofer aus Israel und Marco aus Italien waren ebenfalls Gäste bei Thomas und hatten schon ein paar Minuten auf mich gewartet. Thomas selbst hatte noch beim Entladen des Flugzeugs mitgeholfen (am Flugplatz von Tanna anscheinend völlig normal) und sein Handy im Auto zurückgelassen.
Wenige Minuten später durfte ich meinen Gastgeber dann endlich persönlich kennenlernen und von ihm erfahren, dass wir über zwei Stunden brauchen würden, um die knapp 35km bis zu seiner Lodge zurückzulegen. Die Straßen auf Tanna seien etwas schlechter... Maßlose Untertreibung! Die Straßen auf Tanna waren den größten Teil der Strecke überhaupt nicht existent. Spätestens nach dem wir die einzig größere Siedlung auf Tanna passierten, in der sich auch die einzige Tankstelle der Insel (in Form eines umgebauten Schiffscontainers) befand, wurde aus halbwegs geteerter Straße erst Schotterpiste, dann einfach eine schmale Rinne mit zwei Fahrstreifen. Ohne jegliche Struktur ging es so über eine Stunde durch den Dschungel von Tanna, vorbei an den riesigen, fast schon mystischen Banyan-Trees und schließlich quer durch einen meterbreiten Fluss, der eine riesige schwarze Wüste in zweiteilte. Eine Fahrt, die so unglaublich war, dass Ofer, Marco und ich teilweise minutenlang völlig sprachlos im Auto saßen und kaum glauben konnten, wohin ein alter Toyota-Landcruiser überall fahren kann, wenn man ihn mal so richtig herausfordert.






Ich wollte remote, ich bekam remote. Thomas lebt mit seiner Family wortwörtlich am Fuße des aktiven Vulkans Mt. Yasur. Einer Umgebung, die eigentlich nie dafür gemacht worden war, bewohnt zu werden. Soweit das Auge reichte, war der Boden meiner Unterkunft für die nächsten Tage durch die herabfallende Asche schwarz gefärbt. Mehrmals stündlich wurde man durch das unüberhörbare Donnern des nur wenige hundert Meter entfernten Vulkans aus den Gedanken gerissen und sobald die Dunkelheit einsetzte, konnte man beim Dinner den durch die Lava rot leuchtenden Gipfel des Mt. Yasur beobachten.
An gemauerte Häuser war hier nicht zu denken. Thomas und seine Familie lebten vielmehr in einfachen Holzhütten, die er nach jeder größeren Eruption wieder und wieder mühselig in Handarbeit aufgebaut hatte. Auf den Teller kam hier das, was die Umgebung hergab oder gelegentlich aus Lenakel, der größten Siedlung auf Tanna, mitgebracht werden konnte. Fließendes Wasser – Fehlanzeige, Strom per Generator von 19 – 21 Uhr und zur persönlichen Überraschung als „Gästezimmer“ einfach mal ein waschechtes Baumhaus. Ohne jeglichen Komfort, dafür auch mit Vulkanblick.






Genau das also, was ich mir vorgestellt hatte! Auf Tanna gab es fast keinen Bonus-Komfort für Touristen. Stattdessen super authentisches Leben mit den Locals und viele Einblicke in die Regeln und Riten innerhalb der abgeschiedenen Community. Thomas war nämlich nicht nur Gastgeber, sondern auch „Chief“ (Stammesführer) des lokalen Dorfs und konnte dank seines guten Englisch insofern von Riten der Kava-Zeremonien (ja, die gibt’s auf Vanuatu natürlich auch) bis zu Streitigkeiten über Wegerechte zum Vulkan einiges berichten.
Selbst als Chief war ihm abseits des eigenen PKW und des größeren Grundstücks allerdings wenig Luxus vergönnt. Derart abgelegen im Süden Vanuatus zu leben, bedeutete eben, die meiste Zeit des Tages dafür zu opfern, Essen vorzubereiten und das Grundstück trotz des nahezu permanenten Ascheregens irgendwie in Schuss zu halten. Immerhin TikTok hatte es zur kollektiven Überraschung von uns Gästen auch in diesen entlegenen Winkel der Erde geschafft. Hatten Thomas und seine Family nämlich doch mal etwas Freizeit, konnten wir sie wiederholt dabei beobachten, völlig gebannt am Handy in belanglosen (für die Family wohl aber sehr faszinierenden) Kurzvideoendlosschleife zu versinken. Bevor jemand fragt: Ja, es gab tatsächlich mobiles Internet im Dorf. Nicht gut, aber definitiv besser als das, was einen außerhalb geschlossener Ortschaften in Deutschland teilweise erwartet.
Während Thomas also mal wieder in Arbeit oder am Handy versunken war, nutzen Ofer, Marco und ich die Zeit für Erkundungstouren zu Fuß. Menschen traf man im Südosten von Tanna zwar kaum, dafür war Landschaft und Atmosphäre unmittelbar um den Vulkan einfach unbeschreiblich. Endlose Aschefelder ohne jegliche Vegetation durchzogen von ebenjenem am Vortrag per Auto gequerten Fluss, der im Laufe der Zeit eine Art Mini-Canyon geformt hatte. Vermutlich der unwirklichste Spot, an dem ich jemals spazieren war. Und ganz sicher der unwirklichste Spot, an dem ich jemals mit selbstgemachten Wraps picknicken war. Ja richtig gelesen. Picknicken! Ofer und Marco waren nämlich nicht erst seit dem Vortag in der Abgeschiedenheit des Südpazifiks unterwegs, sondern als NGO-Worker auf den Solomon-Islands echte Experten. Immer und zu jedem Zeitpunkt ein paar Wrap-Zutaten dabei zu haben, gehörte da völlig selbstverständlich zum Standartrepertoire. Genauso wie das plötzliche Entdecken einer weißen Familie in einem noch abgelegeneren Dorf Tannas, in das wir auf der Suche nach den heißen Quellen der Insel spontan stolperten. Für mich völlig unwirklich. Für die beiden Experten: „Missionare eben. Die und ihre Familien findest du im Südpazifik überall.“








Was allerdings auch Ofer und Marco sprachlos machte, war der Grund, für den wir alle nach Tanna gekommen waren. Der Gipfel des Mt. Yasur, auf den wir am nächsten Morgen gegen 4:00 Uhr in völliger Dunkelheit mit Thomas Landcruiser fuhren bzw. kletterten. Dass was Thomas wieder einmal „Straße“ nannte, war hier wirklich nicht viel mehr als ein steil ansteigender, völlig verwilderter Graben entlang des riesigen Vulkanhangs. Oben angekommen gab es aber tatsächlich eine Art Parkplatz, von dem aus wir den letzten kurzen Anstieg zu Fuß zurücklegen mussten und schließlich von stechendem Schwefeldampf empfangen wurden. Ein paar Schritte entlang des Kraters und dann endlich der Blick in den endlos tief erscheinenden, rot leuchtenden Abgrund des Vulkankraters. Wenn es ein Tor zur Hölle gibt, hatten wir es gerade gefunden.
Sicherheitsvorkehrungen – völlige Fehlanzeige. Außer einem primitiven Holzbalkenkonstruktion, die für einen kleinen Kraterabschnitt als Zaun dienen sollte, gab es keinerlei Absperrungen. Dafür Lavafontänen, die aus dem dampfenden Abgrund emporschossen, vibrierender Untergrund und ohrenbetäubende Donner bei den plötzlichen Minieruptionen, die die unvorstellbare Kraft einer wirklichen Explosion auf eine beängstigende Weise andeuteten. Auch wenn die Wolken an jenem Morgen den Großteil des Himmels verdeckten, wird der Sonnenaufgang, den wir vor diesem Szenario beobachten durften, wohl sehr lange unvergesslich bleiben.








Tanna war definitiv ein Abenteuer. Tanna war definitiv remote. Tann war definitiv besonders. Aber Tanna war auch irgendwie der Beweis, dass Abgeschiedenheit Grenzen für mich hat. In einer Region zu leben, die fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten ist, erfordert eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit und einen unglaublichen Verzicht. Die faszinierende Art und Weise, wie Thomas, seine Family und das übrige Dorf mit der Natur (teilweise sogar in den verzweigten Baumstämmen der Banyan-Trees) leben, habe ich auf eine gewisse Art sehr bewundert. Gleichzeitig offenbarte das schon nach drei Nächten zunehmende Gefühl von Monotonie und Einsamkeit aber auch, dass ich ohne ein Mindestmaß von Komfort und sozialem Umfeld nicht lange klarkommen würde.
Entsprechend machte sich eine gewisse Erleichterung in mir breit, als ich am Morgen des vierten Tages zusammen mit Ofer und Marco wieder am Flugplatz von Tanna stand, den bereitstehenden Flieger auf dem Rollfeld erblickte und wenig später auch den handgeschriebenen (!!!) Boarding-Pass in der Hand hielt. Eine letzte kleine Erinnerung an die Remoteness von Tanna, bevor es nach einer letzten Verabschiedung von Thomas zurück in die Zivilisation gehen sollte.




Oder zumindest nach Port Vila. Auf dem Weg zurück nach Südostasien gab es nämlich noch ein kleines Problemchen. Ein Problemchen namens AirVanuatu… Bereits auf Tanna hatte ich die Mail erhalten, dass mein Flug bei der notorisch unzuverlässigen Airline gestrichen wurde und ich nicht wie geplant nach Brisbane weiterfliegen könne. Weil ich dort im Anschluss allerdings zeitnah eine Alternative, die sogar günstiger war, buchen konnte, war das Thema unmittelbar wieder vergessen. Solange bis ich zurück in Port Vila feststellen durfte, dass nicht der 25.04., sondern der 25.05. auf meiner neuen Buchungsbestätigung stand – direkt oberhalb von „nicht kostenfrei stornierbar“. AirVanuatu hatte es also doch geschafft und mich nicht nur um 300 € ärmer, sondern auch drei weitere Tage auf Vanuatu reicher gemacht.
Whatever, selbst schuld… Nach knapp einem Monat in der Südsee brauchte es schon deutlich mehr als einen Flugausfall, um mich wirklich aus der Ruhe zu bringen. Hätte ich den Flug nicht verpasst, hätte ich wohl auch nie die schönste Tauchbasis im Südpazifik bei Gone Diving Vanuatu entdeckt. Ende Bula, Alles Bula!
XOXO

